<font size="150"><font color="#0000BF">Verdon – into the deep</font></font>Nach einer gemütlichen Nacht im Zelt mit Regen Blitz und Donner gönnen wir uns morgens erstmal ein richtiges französisches Frühstück mit Croissants und Baguette. Die Zelte bekommen wir jetzt eh nicht mehr trocken, deswegen stopfen wir den ganzen Kleut in Tüten und machen uns auf den Weg in den Süden. La Palud verspricht 27 °C und Sonnenschein! Wenn nur diese blödsinnige Gurkerei nicht immer wäre. Mehr als fünf Stunde dauert die Fahrt. Ich kann bereits nach der Hälfe nicht mehr sitzen. Beim Tankstopp hieve ich mich mühselig aus dem Sitz und kann kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Wer hatte bloß die verrückte Idee, morgen über 50 Kilometer zu laufen? La Palud ist zwar das Zentrum des Actionsports am Verdon, aber eigentlich nur ein winzige Dorf. Vom Campingplatz am Ortseingang bis zum Minisupermarkt am anderen Ende geht man nur wenige Minuten. Interceptor und ich besorgen schon mal das Nötigste, Wein, Bier und Brot. Tania und Jörg wollen das Grillfleisch mitbringen. Am späten Nachmittag öffnet dann auch die Rezeption. Der Chef des Campingplatzes erscheint spricht natürlich kein Wort Deutsch oder Englisch. Ich versuche ihm klar zu machen, dass ich kein Französisch verstehe, was ihn aber nicht daran hindert ununterbrochen auf mich einzureden. Egal, das ausgefuchste Reservierungs- und Abrechnungssystem macht es mir leicht uns anzumelden. Auf einen Post it mit dem heutigen Datum schreibe ich meinen Namen, der Manager ergänzt noch die Anzahl Personen und Fahrzeuge, dann klebt er den gelben Zettel zu einem Dutzend anderer auf ein weißes Brett an der Wand des Büros. Dem lächeln und den freundlichen Gesten entnehme ich, dass damit alles erledigt ist. Weil wir morgen neben laufen und klettern auch ein Stück abseilen wollen, richte ich für Interceptor und Jörg an einer großen Weide ein Trainingsseil ein. Theoretisch wissen beide wie das gehen soll, praktisch wird es aber morgen wohl eine Premiere werden. [attachment=13]Verdon03.jpg[/attachment] Verdientermaßen machen wir uns dann ans Grillen. Wir haben hier neben dem festen Grillplatz auch den Luxus von Tisch und Stühlen auf einer kleinen überdachten Terrasse. Gegen 6 Uhr ist die Nacht für mich zuende. Ein bisschen Müsli und Wasser, mehr ist zum Frühstück nicht drin. Interceptor bringt6 mich zu nachtschlafener Zeit mit dem Auto nach Castellane. Am Ortseingangsschild machen wir das obligatorische Startfoto, dann trabe ich in die Morgendämmerung los. [attachment=12]Verdon07.jpg[/attachment] Es geht erst mal entlang der Straße, das ist auch ganz gut, so kann ich einen schönen gleichmäßigen Rhythmus finden. Die Beine lockern sich mit der Zeit und es läuft immer besser. Im Rucksack habe ich alles dabei, was ich für die ganze Tour brauche: Neo, Schuhe, Gurt, Karabiner, Achter, Tube, Schlaufen, Seil, etliche PowerBar, Lampe, Handy, GPS, Drybag und große Mülltüten. Nur das Trinkwasser werde ich einmal am Point Sublime, nach 20 Kilometern auffüllen, das muss dann bis zum Ende reichen. Eigentlich sollte ja gerade das Wasser bei einem Lauf entlang eines Flusses kein logistisches Problem darstellen. Im Verdon ist das Wasser aber so kalkhaltig, dass es praktisch ungenießbar ist. Die Meilensteine machen es leicht, dass Tempo zu kontrollieren. Trotz einiger Ausflüge hinunter, am Fluss entlang, komme ich auf einen Schnitt von 5 Minuten pro Kilometer. Ganz in Ordnung, ich werde die verabredete Zeit mit Tania, Jörg und Interceptor am Point Sublime gut einhalten. Jörg und Interceptor wollen dort erst mit einsteigen. Kann ich gut verstehen, wenn ich mir nicht vor Jahren in den Kopf gesetzt hätte die komplette Strecke, Castellane – Lac de Ste. Croix, zu laufen hätte ich auf die eintönigen ersten Kilometer auch verzichtet. Am Parkplatz von Point Sublime bin ich schließlich richtig locker gelaufen. Wir rüsten uns aus für die eigentliche Herausforderung, gut 20 Kilometer Trails, Wasser, Felsen. Jörg hat genau wie ich auch noch seinen Rucksack vom Jungle Marathon 2006, sogar mit der original Startnummer. Bis auf die Schuhe laufe ich auch im gleichen Outfit wie in Brasilien. Ein wenig wehmütig denke ich an die Quälerei zurück. Verglichen damit, steht uns heute nur ein Sonntagsspaziergang bevor. [attachment=11]Verdon09.jpg[/attachment] Tania wir uns ein kurzes Stück begleiten und dann zum Auto zurücklaufen. Vom See aus will sie uns dann den letzten Kilometer mit einem Boot entgegen kommen. Gleich nach dem Einstieg führt der Weg durch zwei lange Felstunnel. Meist steht da ordentlich Wasser drin, sodass kaum jemand die Chance hat den Weg trockenen Fußes zu beginnen. Weil ich den Weg von meinem letzten Besuch im April noch kenne geh ich voran. Nach dem zweiten Tunnel führe ich die Gruppe in einen Dritten. Den hatte ich überhaupt nicht mehr in Erinnerung – und so elendig lang schon gar nicht. Der Ausgang mündet auf den Wanderweg, der offensichtlich parallel draußen vorbei führt. Das Gestolper hätten wir und gut sparen können. Ich bin überrascht, wie wenig Wanderer auf der Strecke sind. Nach fast zwei Stunden, um halb Elf, haben wir kaum mehr als eine handvoll Leute gesehen. Auch die lange Treppe vor dem Abzweig nach Le Maline ist frei. Meine kalkulierten Laufzeiten scheinen ganz gut zu passen. [attachment=10]Verdon15.jpg[/attachment] Meist laufen wir locker, zu steile oder gefährliche Passagen gehen wir. Der Trail ist richtig gut, und manchmal kann ich einfach nicht anders. Immer schneller und schneller - wie im Rausch, zwischen Bäumen und Felsen, vorbei an Wänden und Abhängen - im Tiefflug durch den Verdon. Irgendwann geht mir dann die Puste aus und ich schlendere langsam weiter bis Jörg und Interceptor wieder aufgeschlossen haben. Ab und zu werfe ich einen abschätzenden Blick auf den Fluss und den Wasserstand. Das sollte klappen, kein Vergleich mit den schäumenden Fluten im April. Die Stunde der Wahrheit naht, als wir über die Felsbrocken bei l’Imbut klettern. Unter uns rauscht es schon etwas beunruhigend. Aber als wir schließlich an die Stelle kommen, wo ich schon zweimal umkehren musste zeigt sich der Verdon als zahmer flacher Bach. Das was sonst eine unüberwindbare Stromschnelle war plätschert nun kniehoch über dicke Kiesel. [attachment=9]Verdon20.jpg[/attachment] Ich bin überzeugt, dass wir von hieraus kaum mehr als einen Kilometer haben, bis zu der Stelle wo wir wieder aus dem Flussbett aussteigen können und wo der Sentier des Pescheurs beginnt. Nach meiner Rechnung sollten wir in eineinhalb Stunden, gegen 1 Uhr am Wasserfall sein. Noch ein bisschen Abseilen und eine Stunde schwimmen dann wären wir wie geplant um halb Drei am See. Ganz sicher bin ich mir aber nicht, denn was jetzt kommt ist für uns Terra Incognita. [attachment=8]Verdon21.jpg[/attachment] Im Kiesbett des Verdon läuft es sich erstmal ganz gut. Ich versuche mir immer noch wieder in Gedächtnis zu rufen, wie hoch der Wasserstand im April war, vielleicht 50 Zentimeter höher, mehr nicht und es wäre Selbstmord gewesen ins Wasser zu springen. Aus dem Traillauf wird nun mehr ein Sightseeing, hier sind sicherlich die spektakulärsten Stellen des ganzen Canyons, und wir können das ganz allein genießen. Ich werde nur jedes Mal aus meinen Träumen gerissen, wenn Interceptor aus lauter Übermut wieder einen 50-Kilobrocken ins Wasser klatsche lässt. So hat jeder seinen Spaß. Immer wieder denke ich: „Hinter der nächste Ecke wirst du bestimmt die bekannten Fundamente sehen.“, weit gefehlt, wir folgen dem Fluss Bogen für Bogen und keine bekannte Formation in Sicht. Jörg fragt schon mal: „ Die zwei Kilometer haben wir jetzt aber hinter uns, oder?“. Ich kann nur mit den Schultern zucken – Terra Incognita. Was hat eigentlich Columbus seiner Mannschaft erzählt, die waren doch Wochen länger unterwegs als geplant? [attachment=7]Verdon22.jpg[/attachment] Die ersten Anzeichen von Zivilisation machen sich bald akustisch bemerkbar, schrille Schreie, zischen Entsetzen und Begeisterung. Ganz offensichtlich erreichen wir das Terrain der Canyoning Guides. Während wir über die Felsen klettern, treiben im trägen Fluss ganze Gruppen dahin, die meisten bemerken uns gar nicht. [attachment=6]Verdon24.jpg[/attachment] Nach ungezählten Biegungen, Flussquerungen und Felsenbarrieren kommt das unscheinbare Fundament einer längst zerstörten Brücke mit dem charakteristischen gebogenen Eisenträger in Sicht. AB hier kenn ich mich wieder aus. Wir haben die „unpassierbare Passage“ geschafft, und das ohne uns in eine „no return“ Position zu begeben. (Bei diesem Wasserstand wäre der Lauf auch flussaufwärts möglich.) [attachment=5]Verdon27.jpg[/attachment] Wir schlendern noch ein Stück durch das Flussbett, dann nehmen wir auf dem Sentier des Pescheurs wieder unser gewohntes Tempo auf. Hier ist bedeutend mehr Betrieb, mag auch an der Tageszeit liegen, mittlerweile ist es 2 Uhr. Jörg fällt immer wieder zurück, nicht aus Konditionsschwäche, sondern weil er versucht unsere Support Crew zu managen. Als wir schon das Rauschen des Wasserfalls hören, der das Ende der Laufstrecke markiert, bekommt er Verbindung. Das Boot ist fast am Ziel und bereit uns auf dem letzetn Kilometer zu begleiten. Tania ist mit dem Tretboot keine 50 Meter vor dem Wasserfall, als wir zu der kleinen Plattform 15 Meter über dem Wasser kommen. Perfektes Timing fast sechs Stunden nachdem wir und bei Pointe Sublime getrennt hatten. [attachment=4]Verdon30.jpg[/attachment] An der kleinen Plattform bietet sich ein ordentlicher Felsvorsprung für die Anbringung des Seiles an. Als zusätzliche Sicherung lege ich noch eine Schlinge um den Stamm eines starken Busches. Jetzt wird sich zeigen, ob das Trockentraining von gestrigen Abend ausgereicht hat. Wir legen alle die Gurte an und ich spreche noch mal kurz den Ablauf durch. Das Seil liegt doppelt und reicht gut bis in Wasser. An den Enden sind Knoten, damit der ATC, den wir zum Abseilen nehmen nicht vom Seil rutschen kann. Jörg wird als erster über die Kante steigen und sich langsam, zusätzlich mit einem doppelten Prusik gesichert abseilen. Ich werde als letzter gehen, damit ich bei beiden Gurt und Seilführung kontrollieren kann. [attachment=3]Verdon32.jpg[/attachment] Sehr langsam lässt Jörg das Seil durchlaufen. Als er noch einen Meter über dem Wasser ist, geht es plötzlich nicht mehr weiter. Der Prusik hat sich an einer Eindrehung im Seil festgezogen. Nun hängt er da, kommt weder runter noch wieder rauf. Die Felswand ist weit außerhalb der Reichweite und ein Messer hat Jörg auch nicht zur Hand. [attachment=2]Verdon31.jpg[/attachment] Natürlich sind wir schon zur Attraktion für zig Paddel- und Tretbootfahrer geworden. Ein Kanute, der die ganze Aktion beobachtet hat, schafft es schließlich, Jörg von Tanias Tretboot aus etwas anzuheben, sodass er den Knoten lösen kann und doch noch zur verdienten Abkühlung ins Wasser eintauchen kann. Wir ziehen das Seil mitsamt ATC und Karabiner wieder rauf und Interceptor macht sich fertig für den Abstieg. Diesmal ohne Prusik gleitet er die 15 Meter hinunter und hängt sich aus. Dann komme ich direkt hinterher. Unter mache ich die Knoten auf und will das Seil nun abziehen. Das gestaltet sich aber schwierigen, als gedacht. Der weiche Kalkstein hatte unserem Gewicht und dem dünnen Seil nur wenig entgegen zu setzen. Das Seil hat sich in die Kante eingeschnitten und sitzt nun bombenfest. Währen ich noch an den Enden des Seiles zerre, ergreift Interceptor kurzerhand die Initiative und klettert neben dem Wasserfall wieder hoch und befreit das Seil. Zum krönenden Abschluss springt er dann aus halber Höhe ins tiefe Wasser. [attachment=1]Verdon35.jpg[/attachment] In meinem Neo ist es mollig warm, kein Vergleich zur Temperatur im April. Jörg und Interceptor haben die Neos erst gar nicht angezogen. Vielleicht hätte ich mir die zwei Kilogramm auch sparen können. Die letzte Etappe kann beginnen. Die Bedrohung durch Naturgewalten ist überschaubar, die Gefahr von einem Tretboot untergemangelt zu werden hingegen ist allgegenwärtig. Nicht dass ich jemandem unterstellen will uns mit Absicht zu attackieren, aber einigen Skippern fehlt es einfach an nautischen Fähigkeiten. Gegen 16 Uhr 30 kommen wir an den Ausgang der Schlucht. Ich lasse es mir nicht nehmen, genau unter der Mitte der Brücke hindurch zu schwimmen, bevor ich langsam weiter zum Strand bade. Nach 16 Jahren hab ich nun den Sack zugemacht. Richtige Euphorie will in mir nicht aufkommen, es ist fast ein bisschen schade, dass das Projekt Verdon abgeschlossen ist – aber geil wars schon! [attachment=0]Verdon37.jpg[/attachment] <font size="150"><font color="#FF0000">Am Ziel - aber war da nicht noch eine Rechnung offen?</font></font>Captn