„Schlafen, schlafen, schlafen“ versuche ich mir einzureden. Kein Diesel stört die nächtliche Ruhe, trotzdem kann ich nicht richtig entspannen. Über die Hängematte habe ich als Regenschutz zwei Rettungsdecken gespannt. Wenn ich da drunter liege, hab ich das Gefühl, kaum Luft zu kriegen, und gut Warm wird’s auch. Nach Mitternacht geht der Mond auf und stehe wieder auf, gehe am Strand entlang, dann lege ich mich wieder hin. Irgendwann als es beginnt hell zu werden, schlafe ich doch endlich ein.
Um halb fünf beginnt leben ins Camp zu kommen, der Start zur zweiten Etappe soll bereits um 6 Uhr sein. Beim Aufstehen merke ich, dass der gestrige Tag meine Beine nicht ganz unbeeindruckt gelassen haben. Die Oberschenkel sind von dem ständigen Auf und Ab reichlich mitgenommen. Egal, heute soll die Strecke weitgehend flach und einfach zu laufen sein. Zum Frühstück gibt’s bei mir, wie bei fast allen Läufern, Müsli. Dann mache ich mich daran, meine Sachen zu sortieren. Als erstes kommen 3 Liter Wasser in die Trinkblase, dann stopfe ich Verpflegung und Ausrüstung in den Rucksack. Zwei PowerBar mache ich mit Tape an den Trägern fest, zwei weiter stecke ich in die Taschen meines Laufshorts. Die Salztabletten sind griffbereit in einem Filmdöschen am Brustgurt fixiert, meine kleine Wasserflasche stecke ich seitlich am Rucksack unter die Kompressionsgurte. Obwohl eine Tagesration weggefuttert ist, sieht der Rucksack aus wie eine Knackwurst, so prall ist er. Wenn ich auf das Trinkventil beiße, schießt mir das Wasser mit Hochdruck in den Mund. Jörg, Knut und Claas rödeln immer noch, als ich bereits startklar bin. Einpacken, auspacken, umpacken, jeder optimiert sein Päckchen Schritt für Schritt. Der Countdown hat ein bisschen was von Kriegsgeschrei, wir machen und Mut für die vor und liegenden 24,5 Kilometer. Start ist wieder am Strand, nach wenigen Metern geht es dann in den Dschungel. Heute habe ich eine Strategie, um nicht wieder einen „fast Zusammenbruch“ wie gestern zu erleben. Bis zum ersten CP will ich flott laufen und dabei bereits viel trinken und regelmäßig meine Salztabletten schlucken. Ab CP 1, nach gut einer Stunde werde ich Tempo rausnehmen und genau in meinen Körper hineinhorchen, um die Wasserversorgung richtig einzustellen. Ab CP 2 will ich mein optimales Tempo finden, um dann locker ins Ziel zu laufen. Soweit die Theorie. Sofort nach dem Start hänge ich mich an Renee, der macht ein gutes Tempo, jede passable Strecke wird gelaufen. Nach einer halben Stunde ist mir schon klar, dass ich das Tempo nicht über die ganze Etappe halten kann. Bis zum ersten CP geht’s aber ganz gut. Mein Wasservorrat ist gerade halb leer und fummel mühselig die Trinkblase erst raus und dann, gefüllt, wieder rein in den Rucksack. Die Strecke bleibt relativ flach, ist aber bei allerlei Hindernissen von Baumstämmen bis Sümpfen und Bächen nicht unbedingt einfach. Ungefähr eine Stunde habe „piano“ hab ich mir verordnet, dann sollte ich meinen Wasserhaushalt im Griff haben. Plötzlich kommen mir drei Läufer entgegen gerannt. Brasilianer, sie rufen uns irgendwas zu von wegen „wrong way“. Ich schau mich kurz nach zwei meiner Mitläufer um, die schauen auch nur verwirrt aus der Wäsche. „Blödsinn“ entscheide ich und ich folge weiter dem eingeschlagenen Weg, immer den frischen Markierungen nach. Wenig später überholt mich dann ein halbes Dutzend Briten überholt, zu denen auch Becky, die spätere Gewinnerin bei den Frauen, gehört. Die haben sich also auch nicht beirren lassen. Später im Camp wird klar, warum die Brasilianer uns entgegengekommen sein könnten, wahrscheinlich hatten sie bei einer Abkürzung den CP 1 verpasst und mussten daher erst zurück.
Kurz vor CP 2 drücke ich wieder etwas aufs Tempo. Mir geht ausgezeichnet, auch weil ich gerade meinen obligatorischen PowerBar nach Stunden seit Start verdrückt habe. Zwei der Briten überhole ich noch vor CP an einem kleinen Berg, die anderen hole ich wenig später auch ein. Mit Becky und Freddy laufe ich eine ganze Zeit gemeinsam. Auf einem technisch anspruchvollen Stück mit Sümpfen und vielen Hindernissen bleiben die beiden dann zurück. Dann öffnet sich der Dschungel etwas und ich komme an eine Art Hohlweg mit Böschungen rechts und links. Eigentlich sollte ich jetzt leichten Fußes weiterlaufen, was mich aber beunruhigt, ist der penetrante Geruch, der in die Nase steigt. Es stinkt wie im sprichwörtlichen Raubtierkäfig. „Jaguare sind Nachtjäger“ versuche ich mir einzureden. Mehr als einmal hab ich das Gefühl, links oder rechts im Unterholz verdächtige Geräusche zu hören, nur zu sehen ist nichts. Nach einer Viertelstunde riche ich nichts, entweder ich habe mich an den Geruch gewöhnt, oder es sind keine Raubkatzen mehr in der Nähe. Dann höre ich deutlich Geräusche hinter mir - kein hungriger Jaguar, nur Freddy, der zu mir aufschließt. Dem CP 3erreichen wir gemeinsam, Freddy ist bergauf etwas schneller, ich bin bergab und bei Hindernissen geschickter. Fast fünf Stunden haben wir heute schon in den Beinen, mit frischem Wasser gehen wir die letzten 6,7 Kilometer gemeinsam an. Jetzt wird es doch wieder hügeliger, so langsam werden meine Beine müde. Freddy geht es auch nicht anders. Obwohl es um nichts geht, beobachten wir einander genau und schätzen uns gegenseitig ständig ein. Sechs Stunden zeigt meine Uhr, nach meiner Schätzung müssten wir das Finish in spätestens 10 Minuten erreichen. Freddy ist sehr skeptisch, dann nehme ich in der Ferne so etwas wie menschliche Stimmen wahr. Ich bin mir sicher die größeren Reserven zu haben und treibe Freddy an. Der jetzt über jede kleine Steigung schimpft, an. Das Finsh erscheint plötzlich, nur noch 30 Meter steil bergauf. Wir sehen und nur kurz an und rennen los, Kopf an Kopf stürmen wir auf das Ziel los. Als Freddy zum Hechtsprung ansetzt kann ich nicht mehr parieren und werde nach 24,5 Kilometern um eine Handbreit geschlagen.
Die Welt ist wieder in Ordnung, die britische Armee darf sich schließlich nicht einem deutschen Zivilisten geschlagen geben.
Jörg, Claas und Knut kommen wieder gemeinsam in Ziel, auch guter Dinge. Die zweite Etappe war zwar länger als die erste, aber jetzt hab ich wieder das Gefühl, nichts wird mich aufhalten können.
Unser Camp ist diesmal nicht am Rio Tapachos, sondern an einem kleinen klaren Flüsschen irgendwo im Dschungel. Das Wasser ist kühl und ich sitze den halben Tag im Fluss, wasche meine Klamotten, mich oder relaxe einfach nur. Anschließend lasse ich mir noch die Oberschenkel massieren, besser geworden sind die durch den Endspurt auch nicht. Meine Füße sind ganz OK, keine Blase, nur eine kleine Stelle ist etwas gerötet, die wird morgen abgeklebt.
Der Platz für die Hängematte ist recht knapp bemessen. Wir hängen wie die Fledermäuse, wenn einer schaukelt, müssen alle schaukeln, aber im Takt, sonst gibt’s blaue Flecken. Um 23 Uhr leg ich mich, in Erwartung einer weiteren schlaflosen Nacht in die Hängematte. Verwirrt schaue ich einige Minuten später auf meine Uhr, 4 Uhr und es dämmert schon? Die erste Nacht, in der ich richtig gut schlafe. Vor lauter Freude schlafe ich direkt wieder ein und es wird 5 Uhr. Jetzt muss ich mich sputen, für 6 Uhr ist der Start angesagt. Das Packen geht schon etwas routinierter und ganz so eng ist es im Rucksack auch nicht mehr.
Die heutige Strecke ist noch mal 6 Kilometer länger und wird alles für und bereithalten was der Dschungel zu bieten hat, leichte Pfade, lange Sumpfpassagen, steile Hügel, kleine Flussdurchquerungen, von Schlangen, Skorpionen, Mosquitos und der feuchte Hitze ganz zu schweigen. Wahrscheinlich versuchen heute die meisten Läufer, genau wie ich, etwas sparsamer mit den Kräften umzugehen. Wenn wir die 31,1 Kilometer geschafft haben, werden wir alle in Gedanken schon bei der übernächsten Etappe sein: „the long road to hell“ 87 Kilometer nonstop. Direkt vom Start weg laufen wir einen schmalen Pfad bergauf. Das Feld zieht sich schnell auseinander. Der erste, Helton, wird in gut fünf Stunden mit großem Vorsprung über die Ziellinie laufen, die letzten werden noch mehr als 12 Stunden unterwegs sein. Bei mir stellen sich jetzt neue Probleme ein. Meine Gamaschen haben sich prima bewährt, kein Stein und kein Zweig sind mir in die Schuhe geraten, aber mittlerweile lassen die Schuhe selbst nach und durch das ständige hin und herrutschen im Schuh scheuern die Füße an beiden Seiten unter dem Knöchel auf und erste Blasen kündigen sich an. Zum ersten Mal führt die Strecke durch einige Siedlungen. Wir sind eine echte Attraktion, in einem Dorf steht eine ganze Schulklasse an der Straße.
Mit einer Zeit von 8 Stunden 2 Minuten komme ich einigermaßen locker ins Ziel. Zunächst versorge ich meine Füße mit Tape, noch nichts dramatisches. Nils, Andreas und Fabian vom ZDF sind auch wieder bei uns. Das Camp liegt an einem Seitenarm des Rio Tapachos und das Versorgungsschiff liegt Ufer. Claas, Knut und Jörg kommen auch ohne Probleme ins Ziel. Eigentlich könnten wir uns jetzt eine netten Abend machen, ein paar kühle Bier trinken und dann in die Hängematten. Morgen ist nur „kleines Programm“, erst 200 Meter Schwimmen, dann 18 Kilometer laufen. Wir machen uns den netten Abend mit lauwarmem Wasser und PowerBar, das Bier müssen wir den TV-Leuten überlassen. Ausschlafen, der Start wird erst um 8 Uhr sein. Ich habe wieder gut geschlafen und fühle mich ausgeruht. Nur meine Füße sehen nicht wirklich gut aus, fünf Stellen um die Versen sind aufgescheuert, einige kleine Scheuerstellen sind auf den Fußrücken und ein kleiner Schnitt ist im rechten äußeren Ballen. Ich verpacke alles sorgfältig mit Tape und hoffe, dass sich nichts löst. Vielleicht hätte ich doch besser dünne Socken einpacken sollen.
Heute starten wir mit einer Flussdurchquerung. 200 Meter schwimmen, hoffentlich ohne Piranhas, Kaimane oder Wasserschlangen. Später erfahren wir, dass gerade jetzt nur 50 Meter von der Landungsstelle ein 4 Meter langer Kaiman von Fischern erschlagen wird. Unbelastet packen wir unsere Rucksäcke in große Müllbeutel, und los geht’s in Vergnügen. Das morgendliche Bad macht richtig Spaß, wir sind alle regelrecht ausgelassen. Handgroße Fische springen um uns herum, offensichtlich keine Piranhas. Ich schwimme mit Schuhen, sonst würde sich womöglich das Tape im Wasser lösen. Die Schuhe sind eh nach wenigen Kilometern nass, wenn nicht von außen durch Sümpfe oder Bäche, dann schon allein durch den Schweiß, der die Beine runter rinnt.
Die Strecke ist einigermaßen leicht, die erste Hälfe ist wieder im Dschungel unter Bäumen. Die zweite Hälfte führt über weitgehend offenes Gelände. Die Wege sind zwar gut, dafür brennt die Sonne senkrecht vom Himmel. Wenn man aus dem Schatten auf eine sonnige, geschützte Lichtung kommt, ist es als ob eine Backofentür aufgeht.
Trotz der Hitze kann ich kann ich gut laufen, auch weil der Rucksack schon deutlich leichter geworden ist. Das Tape hält, einzig der kleine Schnitt am rechten Ballen schmerzt immer mehr. Gegen Mittag komme ich als Elfter ins Ziel. Unser Camp liegt in bei einer kleinen Siedlung, so haben wir heute den Luxus von einigen Tischen und Bänken im Schatten. Waschen, Baden, Essen, massieren lassen, das provisorische Campleben ist schon zur Routine geworden. Bis zum späten Nachmittag treffen immer noch Läufer ein. Mittlerweile herrscht beim medizinischen Team großer Andrang. Fast alle haben Probleme mit den Füßen, genau wie ich. Der anfangs kleine und harmlose Schnitt entwickelt sich nicht gut, die Wunde hat sich entzündet. Weil ich selbst nur schlecht unter meine Fußsohle schauen kann, lasse ich einen der Ärzte die Wunde untersuchen.
Das „Hospital“ erinnert mich stark an MASH, den Film. Das Ärzte-Team repariert notdürftig Füße mit Verband und Tape und jeder kriegt mindestens noch einen dummen Spruch mit auf den Weg. Angesichts der morgigen Etappe über 87 Kilometer macht sich Galgenhumor breit. Der Schnitt ist recht tief, es scheint aber kein Fremdkörper drin zu sein. Drei Tage die Füße hochlegen und zweimal am Tag Verbandswechsel meint Andrew. Meine Pläne sehen aber anders aus, 112 Kilometer liegen noch vor mir, also drücke ich die Wunde aus desinfiziere alles so gut es geht und klebe sie erst mal provisorisch zu, damit kein Dreck hineinkommt. Das abendliche Briefing von Robert lässt keinen Zweifel daran, dass uns morgen der schwerste Tag des Rennens bevorsteht. Die ersten 44 Kilometer werden wir im Dschungel laufen, ähnlich wie die erste Etappe wird es hügelig sein. Zwischen CP 2 und CP 3 erwartet und „the mother of all hills“, wie Robert sagt, länger und steiler als alles was wir bisher gesehen haben. Und es gibt keine Zeit sich auszuruhen, wer nicht bis 16 Uhr CP 4 bei Kilometer 33 erreicht hat wird dort übernachten müssen und darf erst nach Sonnenaufgang um 5 Uhr weiterlaufen. Die so genannte „dark zone“ zwischen CP 4 und CP 5 ist Jaguargebiet. Die Strecke wird bei Tageslicht durch Soldaten und einheimische Jäger gesichert, sich nachts dort aufzuhalten wäre tödlicher Leichtsinn. Der Rest der Strecke besteht aus Wegen und Straßen oder Strandabschnitten. Für die Nacht ist die Strecke zusätzlich zu den Bändchen mit Öllampen markiert.
Ich fühle mich etwas angeschlagen, aber auch aufgeregt wie ein Kind am Vorabend des Geburtstags als ich mich in meine Hängematte lege. Ein paar Minuten genieße ich noch den Sternenhimmel über mir. <font color="blue">... to be continued.</font>