New York New York
Das war mal wieder so eine Schnapsidee von mir. Es gibt da ja mehrere große Laufserien auf der Welt. Ich hab mich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung wohl wieder zu lange auf diversen Homepages aufgehalten. Irgendwann auf irgendeiner von diesen Homepages eines Laufreiseveranstalters ploppte das Fenster New York Marathon 2023 auf. Wir haben noch freie Plätze. Tja nu, was soll ich sagen? Ich hatte einfach richtig Bock drauf. Also hab ich Anke angerufen und sie gefragt, ob sie mit mir nach New York zum Marathon fliegt? Die Antwort war knapp: Ja klar! Also hab ich die Firma angeschrieben und hatte am nächsten Werktag deren Antwort inklusiv einiger Links zu diversen anderen Homepages. Unter anderem den Link zur Einwanderungsbehörde der USA. Ausserdem musste man ca. ¼ der Gesamtkosten als Anzahlung überweisen. Da ich relativ früh diesen Plan hatte – es war glaube ich Juni – hab ich mir gedacht, ich checke mal vorsichtshalber meinen Reisepass. Ja und Bingo, da muss jemand sich kümmern. Ankes Pass war noch lange genug gültig und meiner eben nicht. Neue Bilder machen, einen Termin im Bürgerbüro machen und warten. Ohne die Nummer aus dem Reisepass kann man aber kein Visum beantragen. Nachdem ich das neue Dokument in den Händen hielt, konnte ich mich durch die Homepage der Einwanderungsbehörde schlängeln. Ich sag mal geschätzt 2 Stunden. Das Problem war die Belichtung bei den Fotos der Reisepässe und man sollte eine Adresse angeben und den Namen der Person, wo man sich in den USA aufhält. Laut Aussage des Reisebüros soll man nur das Hotel angeben und das würde reichen. Letztlich klappte es dann. Nach 24 Stunden bekamen wir unsere elektronischen Visa. Dann kamen noch einige Emails vom Veranstalter mit Tipps über New York und ein grober Ablauf der Reiseplanung. Das Hotel war vom Ziel des Laufs aus ganz gut fußläufig zu erreichen, was ich grundsätzlich sehr bevorzuge. Nach 42km Lauferei durch eine fremde Stadt hab ich einfach keine große Lust noch 30min. oder länger zurück zum Hotel zu kommen.
Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, war auch irgendwann mal Abflugtag. Anke und ich sind dann Donnerstag früh (um 04:30 Uhr) mit dem Auto nach Frankfurt gefahren, weil die Deutsche Bahn einfach nie pünktlich kommt oder ganz ausfällt. Das war auch ein Hinweis vom Veranstalter, kein Scherz. Der Flug war mit United Airlines und wir waren wie empfohlen 3 Stunden vor Abflug am Flughafen. Wir hatten uns auf Minimalgepäck geeinigt, was bedeutete: nur Handgepäck! Also eine große Tasche, die nur bestimmte Maße haben darf und eine Handtasche o.ä. Wir wollten einfach nicht stundenlang am Band stehen und aufs Gepäck warten. Das war schlau, wie sich herausstellte. Es waren ja auch nur 4 Übernachtungen und ein Dauerlauf. Was soll man da groß für Klamotten mitnehmen? Meine Laufschuhe hätte ich sowieso nicht in einen Koffer gesteckt, wie oft hab ich schon gehört, dass Gepäck nach 3 Tagen oder garnicht nachgeliefert wurde. Der Flug ging ca. 9 Stunden und war sehr angenehm. In Newark angekommen, warteten 2 Reiseleiter der Firma auf uns und wir machten uns alle bekannt. Dann ging es in 2 Bussen zum Hotel Riu Plaza auf die 46th Strasse nach Manhattan. Wir bekamen alle recht zügig unsere Zimmer zugewiesen. Uffzt, endlich in New York. Jetzt nur noch der Lauf.
Am Freitag sind wir mit der gesamten Reisegruppe von ca. 50 Personen zur Marathonmesse gegangen um die Startnummern abzuholen. Das war so eine Halle von der Größe des ISS Domes in Düsseldorf und obwohl da geschätzt 5000 Leute waren, hatte ich nach ca. 15min. meine Nummer und mein Shirt. Es gab natürlich noch etliche Stände mit Klamotten und Schuhen und einfach allen Accessoires rund ums Laufen. Anke und ich machten aber lieber eine Bustour mit einem HopOn Bus.
Am Samstag bin ich testweise noch einen 6er gelaufen mit einem Läufer aus unserer Gruppe. Wir liefen am Hudson entlang und das Wetter war perfekt. Anke und ich sind danach etwas shoppen gegangen. Dazu sind wir mit der U-Bahn gefahren, das System ist echt einfach zu verstehen. Aber egal wohin man in Manhattan geht, es stinkt überall nach Hasch seitdem es legalisiert ist und man läuft nur Slalom über den Bürgersteig, weil da einfach so viele Menschen sind. Wir versuchten irgendwie schneller durchzukommen, indem wir kleine Seitenstraßen nutzten. Ab und zu hatten wir auch Erfolg damit.
Dann kam der Sonntag! Der RENNTAG! Joh, jetzt aber. Was geht ab, ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Treffen war um 5:45 Uhr(!) in der Lobby vom Hotel. Dort um Punkt 6:00 Uhr Abfahrt zum Start in einem großen Reisebus. Ausser uns waren auch spanische Läufer in unserem Hotel, insgesamt waren es 12 Reisebusse, die auf uns Läufer warteten. Der Tip vom Veranstalter war, alte Klamotten anzuziehen, die man dann kurz vor dem Start in bereitgestellte Behälter wirft. Sie kommen dann Bedürftigen zu. Ich hatte allerdings recht wenig Platz für Extragepäck und habe mich deshalb aus meinem Sportfundus eingekleidet und damit abgefunden, mit kleinem Rucksack zu laufen. Die Fahrt mit dem Bus dauerte ca. 1 Stunde. Ich musste dann also bis 10:55 Uhr warten. Hätte ich nicht 4:15h auf dem Anmeldeformular angegeben sondern 3:55h angepeilte Laufzeit, wäre ich viel früher dran gekommen. Beim nächsten Mal dann eben, hihi.
Was macht man also, wenn man um 7 Uhr morgens auf einer Wiese irgendwo in New York USA steht und nix zu tun hat ausser zu warten? Richtig: erstmal was essen, dann Schildkrötentaktik. Also die 3 Riegel und die Golddecke rausgekramt und einen Platz zum schlafen gesucht. Nach 2 Stunden gutem Schlaf wurde ich von einer Fliege auf meiner Nase sanft geweckt. Zum Glück war es nur kalt, dafür aber trocken. Irgendwann öffnete sich dann auch für mich und meine Startnummer das Eingangstor zum Startbereich. Wir mussten hinter einer Reihe von Jugendlichen bleiben, die allesamt eine Armeeuniform trugen und niemanden vorbeiließen. Nach ca. 800 Metern standen wir vorn an der Startlinie mitten auf der Verrazzano Brücke. Als ich mich umdrehe, sehe ich ca. 5000 Läufer hinter mir. Glück gehabt.
Der Countdown läuft, es gibt einen riesigen Knall von einer Kanone und dann geht’s los. Allerdings erstmal 2km die Brücke hinauf, dann 2km hinab. Das ist ganz schlau gelöst mit diesem Startsystem finde ich. Dieses Riesengedränge beim Start und die ersten km im Pulk – so wie man es von etlichen Marathons kennt - gibt es dort eigentlich garnicht. So kam ich relativ schnell in meinen StadyState, in meinen geliebten Lauf-Flow und konnte mich ganz aufs schöne Laufen einstellen. Als Minimalziel hatte ich „Ankommen“ definiert und als Optimalziel „sub 4h“ mir als Wunschzeit überlegt. Ich hatte keinerlei Recherchen bezüglich der Streckenbeschaffenheit oder ähnlichem angestellt. Das empfinde ich bei einem puren Stadtlauf als absolut verzichtbare Energievergeudung. Trotzdem staunte ich über das wellige Profil, am Ende zeigte meine Uhr 280 Höhenmeter.
So lief ich dahin und genoß die Ausblicke. Als wir von der Brücke herunter in das erste bewohnte Viertel einbogen war ich völlig überwältigt von dem Anblick: die Straße war geschätzt ca. 20 Meter breit und ging schnurstracks mehrere Kilometer geradeaus und links und rechts waren nur Menschen, die jubelten. Es gab keine 20 Meter freien Bürgersteig, wo keine Menschen waren. Wahnsinn! Da hatte ich für ein paar Minuten echt Pipi in den Augen. So müssen sich die Fahrer von der Tour de France fühlen, wenn sie auf einer Bergetappe durch die Menschenmassen fahren und bejubelt werden. Ich horchte öfter in mich hinein und sah auf meine Uhr, ob ich wohl das richtige Tempo gewählt hatte. Aber es fühlte sich alles ganz gut an und so ließ ich es einfach rollen. Den ersten 10er hatte ich in 56min. abgespult und den Halbmarathon dann in 1:57h. Da kam dann, ob ich es wollte oder nicht, die Idee in mir hoch, das Ding doch noch unter 4 Stunden zu schaffen.
Und als die 30km Marke kam hatte ich 2:45h auf der Uhr und dachte, dass es evtl. ne ganz knappe Nummer werden könnte, falls noch irgendwas schiefgeht. Es ging aber alles ganz gut soweit, bis auf die km 39 Marke. Es meldete sich der hintere linke Oberschenkelmuskel und drohte mit Krämpfen. Aus Solidarität kam kurz drauf der rechte noch dazu und ich sah mein Sub 4h Finish schon langsam schwinden. Doch ich hatte ein Magnesium Tütchen dabei, welches ich schnell runterwürgte. Es kann eigentlich nicht sein, dass die Wirkung schon so schnell einsetzte. Trotzdem waren diese Zuckungen innerhalb von 3 Minuten verschwunden. Zauberei. Mir egal, denn ich merke plötzlich, dass ich es schaffen kann unter 4 Stunden zu bleiben. Jedoch deckten sich seit geraumer Zeit die Entfernungsangaben des Veranstalters nicht mit den Zahlen auf meiner Uhr. Ausserdem wurden Kilometerangaben nur alle 5km gemacht, bei km 10 und beim Halbmarathonpunkt. In den USA läuft man ja 26,2 Meilen und nicht 42,195km.
Die letzten 3km durch den Central Park, gesäumt von tausenden jubelnden Menschen hatte ich permanent Gänsehaut und bei 42,2km stoppte ich meine Uhr. Anke hatte einen Platz auf der Tribüne ergattert und ich wußte, in welchem Segment ich sie finden konnte. Ich hatte Null Bock auf einen Schlußsprint, nur um in der Ergebnisliste vom Veranstalter auch unter der 4h- Marke zu sein. Es war schließlich MEIN Lauf und nur das zählt. Ich wollte auch noch private Fotos vom Zieleinlauf haben, drum ließ ich mir die Zeit dazu. Meine Zeit war 3:55:51h und die offizielle Zeit ist 4:01:44h.
Man bekam einen gefütterten Pocho und seine Medaille, ausserdem einen Beutel mit Snacks und Getränken. Dann wurde man durch eine Allee geführt, die am Ende des Central Parks erst endete. Man wurde sehr zügig hinausgeleitet. Es gab keine Möglichkeit durch den Park zu gehen, also mussten wir uns per Whatsapp verständigen und irgendwann klappte es dann auch. Auf dem Weg zurück zum Hotel kehrten wir in einem chinesischen Restaurant ein, wo wir zuvor schon gegessen hatten und ich verschlang eine große Portion Nudeln mit Rindfleisch. Dann gingen wir zurück zum Hotel und am nächsten Morgen war auch schon der Abflugtag. Auch hier klappte alles reibungslos und der Rückflug dauerte sogar nur 6,5 Stunden. Irgendwann lauf ich da bestimmt noch einmal.