Neues von: ACHILLES' VERSE Furcht vor den Frauen Von Achim Achilles Achim Achilles friert. Natürlich könnte er sich bewegen, damit ihm wieder wärmer wird. Aber unser Wunderläufer steckt in einer Krise. Die eigene Frau kommt in Form, und die anderen sind eh schon schneller. Achim wehrt sich zwar, seine Mittel sind allerdings bescheiden. Mona läuft schon zum dritten Mal diese Woche. Trotz des gruseligen Wetters. Laufen mache ihr Spaß, sagt sie. "Übertraining", warne ich. "Papperlapapp", entgegnet meine Frau. Mona hat keinen Pulsmesser und läuft in Aerobic-Latschen von "Venice Beach". Sie hat keine Ahnung von Aminosäuren. Sie macht alles falsch. Aber sie läuft. Alle Frauen laufen. Als ich am Sonntag die 400 Meter zur Tankstelle fuhr, um die "BamS" zu holen, sah ich durch die Regenschleier Dutzende von Aktiven. Es waren Läuferinnen. Wir erleben den Beginn des Merkelschen Zeitalters. Die Trümmerfrauen sind zurück. Hart und zäh. Wasser nippen, Weihnachtsgeld weg, Laufen im Regen (zur Not barfuß) - und trotzdem gut drauf sein. Mangel als Möglichkeit. Meine Frau trabt in bröseligem Lycra von 1984. Es merkelt im Lande. Wir technologisch hochgerüsteten Kerle, die angesichts eines Regentropfens spontanes Halskratzen verspüren, sehen verzärtelt aus. Zeit, dass das patriarchalische Imperium zurückschlägt. Ich muss wieder laufen, schneller, länger, mehr als Mona. Leider ist Regenerieren meine stärkste Disziplin. Montagnachmittag war es so weit. Im Halbdunkel raus an den Schlachtensee. Nasses Laub macht mich krank. Egal. Es ist eine gute, frauenfreie Zeit. Gleich kommt "Marienhof" und das Abendbrot muss auf den Tisch. Stunde des Mannes. Frauen sollten generell nicht laufen. Laufende Frauen sind schuld, dass Männer sich schlecht fühlen. Entweder sind sie zu langsam, dann zählen sie nicht als Gegner. Oder sie sind zu schnell. Dann machen sie mich depressiv. Mal sind sie zu dünn, mal zu dick. Eine normal gebaute Frau mit dem richtigen Tempo ist von der Evolution nicht vorgesehen. Ich trabe herrlich allein. Kein weiblicher Stressfaktor in Sicht. Die ersten zehn Minuten ganz locker angehen lassen. Kurz über dem Steiß knackt es wie beim Holzfällen. Das linke Knie quietscht, das rechte knarzt. Die Lunge presslufthämmert. Wüsste ich nicht, dass es besser wird, würde ich sofort aufhören. Hinter mir schwillt der feste Schritt des fortgeschrittenen Läufers an. Klingt wie ich früher. Atem kaum hörbar. Wahrscheinlich um die 30 Jahre, keine 80 Kilogramm, Marathon in 3:30 Stunden, klassischer Kandidat für einen Ermüdungsbruch. Einfach überholen lassen. Konfuzius sagt: Suche dir Gegner, die du schlagen kannst. Er federt an mir vorbei. Hebt die Rechte kurz zum Gruß. Dünne muskulöse Beine, unbehaart. Dafür langer Zopf. Eine Frau! Eine schnelle Frau. Eine schnelle Frau ohne Fernseher, die kein Abendbrot machen muss. Ich huste mir den Schleim von der Lunge. Kann ich mir das gefallen lassen? Nein! Sie hat bestimmt nur kurz beschleunigt, fürs Überholen. Sie wird schon langsamer. Ich ziehe unmerklich an. Die kauf ich mir, die Kleine. Wenigstens der Abstand muss bleiben. Auf keinen Fall darf der Verfolger hektisch klingen. Ich schenke mir mein Hecheln. Und im Finale die Sache dann klarstellen. Die Maus ist schnell. Puls im Grenzbereich. Warum ausgerechnet jetzt Seitenstiche? Ich hasse Seitenstiche. Der US-Laufguru James Fixx sagte einmal, an Seitenstichen sei noch keiner gestorben. Vielleicht bin ich der erste. Die Läuferin verschwindet hinter einer Kurve. Hau doch ab. Singleweib wahrscheinlich, kompensiert alles mit Laufen. Verbissene Karrieretante. Keinen blassen Schimmer vom optimalen Trainingstempo - viel zu schnell. Mein Atem beruhigte sich langsam. Ich laufe mein Rennen. Dieses ewige Gewinnen-Wollen ist doch albern. Die Schlussstrecke bis zum Parkplatz verläuft in einer langen geschwungenen Gerade. Sechs Kilometer hatte ich geschafft, das ist ganz gut für den Wiedereinstieg. Oder soll ich noch eine zweite Runde? Nee, besser nicht. Lieber einen strammen Endspurt. Das Opfer wartet schon. Eine Schnappleinenlänge vor mir schlurft es. Sieht müde aus. Den hole ich mir, den mache ich frisch. Ich ziehe an. Hungrige Schritte. Ich Jäger, du Beute. Leiden soll er für alles, was mir heute angetan wurde. Ich kriege dich, du Flasche. Ich fliege auf den Parkplatz. Sieg. Ich pumpe ein wenig. Stiller Triumph. Ich drehe mich beiläufig um. Verflucht. Was ich da im Fotofinish besiegt habe, war schon wieder eine Frau, nicht jung, nicht schlank, nicht schön, nicht schnell. Sie biegt auch nicht auf den Parkplatz. Läuft weiter. Macht einfach noch eine Runde. Es wird ein harter Winter werden.